Die besten Jahre
Heute, 2023, bin ich kurz vor dem mentalen Suizid. Das ist nicht nur so dahingesagt, ich möchte mit dieser Welt und den Menschen nichts mehr zu tun haben. Damals in den 80ern und 90ern, also in meinen jungen Jahren, da war die Welt klasse. Ich kann es nur immer wieder sagen: Wir hatten damals die geilste Zeit überhaupt. Keinen Krieg um die Ecke, die Wirtschaft platzte bald vor Wachstum, man konnte noch Geld mit seinem Können verdienen und etwas aufbauen, man war aufgeklärt und lebte das aus, die Sommer waren einfach goldener, die Luft weicher, alles roch nach Leben, man lachte und weinte, genoss und litt, man erlebte und lebte seine Welt, alles mit einem Hauch Glitzer und Popcornduft.
Dann wurden wir älter. Unsere Jobs kann nun jeder Idiot machen, da Technik Talent ersetzt. Heute lebt man von Followern und Klicks statt von Können. Unser Lebensinhalt wurde wegentwickelt und nun stehen wir alten Säcke da und können nichts mehr anbieten. Werden – wie das immer schon war und immer sein wird – von den Jungen belächelt. Nur, dass ich jetzt nichts mehr habe. Nichts von dem, was ich mal aufgebaut habe, ist heute noch da oder wäre etwas wert.
Und es kam Corona. Man lebte isoliert, hatte noch weniger Kontakt als vorher, ist noch älter geworden. Ich komme mit dem Egoismus nicht mehr klar, den die Menschheit seither erfasst hat. Corona ist zwar heute nur noch eine Erkältung, aber ein anderer Virus greift um sich: Unzufriedenheit.
Und jetzt wache ich manchmal auf und rieche die geilen Jahre in Schwabing, die warmen Sommer, die trägen Nachmittage in den Straßencafés, den heißen Asphalt, das Leben und fühle die Leichtigkeit in meinem Kopf. Ich schließe die Augen und irgendwie bündelt sich das Licht, das durch meine geschlossenen Lider dringt, zu einem runden Fleck. Ist das das Licht? Ist es jetzt soweit? Kaum. Aber ich wünsche mir, dass ich einmal mit diesem Gefühl ins Licht gehe. Mit der perfekten Zeit, die unsere Generation erleben durfte. Keine vor uns hat dies erlebt, und keine nach uns wird es erleben. Ok, jede Zeit hatte ihr Schönes. Frage ich meine Mutter, dann war früher – also in ihrer Blüte – alles schöner und besser. Das kann ich mir nicht vorstellen, denn die vielen Annehmlichkeiten, die wir besitzen, gab es da nicht. Und sie erlebte den Zweiten Weltkrieg. Wir lebten in meiner „Blüte“ ohne Angst. Im Überfluss. Und nun sind wir alt. Unbrauchbar. Ausrangiert. In einer viel zu satten Gesellschaft. Und Kriege gehören wieder zum Alltag.
Ich werde vielleicht einmal allein da stehen. Ohne Freunde, ohne Familie. Allein alt werden, das heißt allein krank und gebrechlich werden. Allein fremden Menschen, fremden Entscheidungen ausgesetzt sein. Danke also, dass ich mal eine so geile Zeit hatte. Und Danke, dass ich meine Erinnerungen habe. Bis zum Licht.