The boy next door
„Eva! Er ist da!“
Etwas schepperte in der Küche und meine beste Freundin stand innerhalb von vier Sekunden neben mir. Den Mund voller Kuchen, zwischen den Lippen noch Sahne, die wohl einfach nicht mehr reingepasst hatte. Wir quetschten uns am Fensterrahmen dicht nebeneinander und sahen über den Innenhof zu einem Fenster des Nachbarhauses. „Ist der Teller noch heil?“, fragte ich, ohne den Blick abzuwenden.
„Ich glaube schon“, murmelte sie durch die Kuchenreste. „Die Spüle war das nächste was ich erwischt hab.“
Wir schmunzelten beide. In dem Moment trat mein Nachbar mit freiem Oberkörper auf seinen kleinen Balkon. Eva hustete kurz und hielt sich dabei schnell eine Hand vor den Mund.
„Mhm“, machte ich. „So hab ich auch reagiert, als ich ihn das erste Mal gesehen hab.“
„Er würde dir gut stehen.“
Ich lachte leicht. Dann seufzte ich: „Bestimmt hat er ‘ne Freundin.“
„Na, wenn das alle denken, hat er keine.“
„Er macht jeden Morgen Workout. Gott, du müsstest ihn dabei sehen.“
„Hmm, kann’s mir vorstellen.“
Gerade hatte Eva noch einen verträumten Blick auf dem Gesicht, als ich hektisch sagte: „Er guckt!“
Schnell zog sie mich am Arm vom Fenster weg.
„Spinnst du?“, fragte ich lachend. „Wie so kleine Teenager.“
Lachend ließen wir uns auf die Couch fallen.
„Aber zu zweit am Fenster spannen wirkt voll erwachsen.“
„Das hat er doch bestimmt sowieso gesehen.“
„Hat er dich schon mal gesehen?“ Eva funkelte mich mit einem süßen Lächeln an und ich lächelte zurück.
„Ist nicht schwer. Ich schaue immer wieder, ob er da ist. Es ist wie ein Zwang.“
„Versteh ich. Er ist umwerfend. Wie hat er reagiert?“
„Er hat gelächelt.“
„Uhhhh, süß! Er hat KEINE Freundin!“
„Montag hat er gewunken.“
„O mein Gott“, platzte Eva laut lachend hervor. „Er hat gewunken? Habt ihr schon mal geredet?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Gar nichts? Kein Wort? Seit wann macht ihr das jetzt so?“
„Vor vier Wochen ist er eingezogen.“
„Dann mach doch endlich mal den ersten Schritt.“
„Wie denn?“
„Keine Ahnung. Geh rüber und frag, ob er Eier hat!“
Wir prusteten beide und lachten eine Weile, bevor wir weiterredeten.
„Na ja, oder Mehl oder Salz. Irgendwas. Hauptsache ihr kommt mal ins Gespräch.“
„Aber das ist so abgedroschen. Das glaubt der mir doch nie, dass ich ins Nachbarhaus gehe, um mir Salz zu leihen.“
„Leihen? Das heißt, du willst es ihm irgendwann zurückbringen?“ Evas freches Grinsen brachte mich erneut zum Lachen. „Ist doch kack egal, ob er dir das glaubt. Er wird sich freuen, dass du den ersten Schritt gemacht hast. Vielleicht ist er schüchtern.“
„Weiß nicht. Ich hoffe immer, dass ich ihn mal unten auf der Straße treffe. Dann kann ich einfach ‚Hi‘ sagen.“
„Und dann? Ich seh‘ dich schon vor mir. ‚Hi!’“ Eva hob die Hand wie zum Grüßen und starrte wie betrunken ins Leere. „Und dann sagt er auch nur ‚Hi‘, ihr guckt euch ein paar Sekunden an, keiner sagt was, du sabberst vielleicht ein bisschen und ihr geht weiter. So geht das nicht! Leih dir Lebensmittel und erzähl ihm, dass du kochst. Wenn du Glück hast, fragt er, was du machst. Und wenn nicht, drückst du‘s ihm auf’s Auge.“ Sie verstellte die Stimme verführerisch. „Ich koche heute Pasta. Die Soße wird echt scharf. Komm vorbei, wenn du probieren willst.“
Wieder lachte ich. Eva war einfach die Beste. Mit ihr konnte ich über wirklich alles reden. Und sie war die wertvollste Trösterin bei Liebeskummer. Unser Lachen verstummte und ich sah Eva mit großen Augen an, als es klingelte. „Entspann dich. Das ist Franzi. Sie wollte noch vorbeikommen. Hab ich vergessen zu sagen.“
Ich joggte zur Tür, drückte auf den Knopf, der die Haustür öffnen würde, öffnete aber im selben Moment die Wohnungstür.
„Hi!“, sagte mein Nachbar mit einer Stimme, die mir eine angenehme Gänsehaut in den Nacken zauberte. „Hast du vielleikt… eine Swiebel?“
Sein amerikanischer Akzent killte mich. Und ich wollte am liebsten Eva killen, die ich im Hintergrund kichern hörte.
„Ehm, klar! Ich …“ Ich schaute an ihm vorbei ins Treppenhaus und deutete gleichzeitig hinter mich, weil dort die Küche war. Er musste ganz gezielt geklingelt haben.
„Die Haustur war offen“, erklärte er, da mir die Frage offensichtlich ins Gesicht geschrieben stand. „Und du bist … the boy next door, right?“