Diese Geschichte schrieb @Manuel.Konsik.Autor Liebe/Drama

Ist der Sonntag schon zu Ende

Der kleine Junge greift nach der großen Hand. Ihre Fingerspitzen berühren sich. Unbewusst fasst sein Vater zu und hält die Hand seines Kleinen.

Das ist schön, denkt der Junge und fühlt sich wohl.

Er genießt die letzte Nähe, wie sie hier sitzen, auf der Bank am Spielplatz. Und er saugt die Liebe und die Wärme und die Geborgenheit auf. Nur über alldem schwebt die Frage: Ist der Sonntag schon zu Ende?

Sie sind zu früh, wie jedes Mal. Doch sie stehen nicht auf. Noch nicht. Es bleibt ein wenig Zeit. Minuten die wie Sekunden verfliegen. Doch es sind ihre Sekunden. Es ist ihre Zeit.

Der Junge denkt zurück, wie er es immer tut.

An jenen Freitagen geht er schon morgens ganz aufgeregt zur Schule. Im Unterricht kann er sich kaum konzentrieren. Beim Fußballspiel auf dem Pausenhof verliert er die Zweikämpfe und schießt nur wenige Tore. Die zweite Unterrichtswelle nach dem Pausengong lässt ihn noch unruhiger auf den Sitz zappeln. Bis zum erlösenden Klingeln. Endlich Wochenende. Vater-Sohn-Zeit.

Er ist der Erste, der seine Sachen in den Ranzen verstaut hat und aus dem Schulraum fliegt. Sein Papa wartet schon auf dem Schulhof. Der Junge rennt auf ihn zu und springt ihn samt Tornister in die Arme.

»Was machen wir?«, fragt der Junge ganz aufgeregt.

Die Wochenenden bei Papa sind immer voller Freude und Spaß und stets vollgepackt. Sie gehen ins Kino und ins Schwimmbad. Sie essen Eis und fahren Inliner. Sie spielen Fußball und fallen müde ins Bett.

Nun sitzen sie hier und schweigen.

Sein Vater blickt ins Leere und ist nicht mehr im Hier. Seine Traurigkeit spiegelt sich in seinen Augen. Er wollte doch so viel tun mit seinem Sohn. Die paar Stunden nur. Doch der Sonntag ist zu Ende.

Meine neue Burg, die musst du doch seh’n, denkt der Junge und fragt sich, wann seine Eltern aufgehört haben, miteinander zu reden, und wünscht sich doch nur, dass es wieder so ist, wie es früher einmal war.

Nun steht sein Papa auf. »Komm, mein Sohn. Es ist Zeit.«

Sie gehen Hand in Hand den langen Weg zum Haus.

Es sind doch nur ein paar Meter, denkt der Junge. Doch sonntags ist der Weg so weit und schwer.

Sein Papa stellt die Schultasche ab und lehnt sie an die Haustür. Er beugt sich hinunter zu seinem Sohn und sie nehmen einander in die Arme.

Du bist so tapfer, denkt der Vater. Du weißt, dass wir zusammengehören, auch wenn ich nicht bleibe.

»Bis in zwei Wochen«, sagt sein Papa und bevor die Stimme versiegt, flüstert er mit letzter Kraft: »Ich liebe dich.«

Ein Abschiedskuss auf die Wange.

»Ich liebe dich auch, Papa.«

Dann drückt der Junge die Klingel.

Sein Vater wendet sich ab und geht den Weg zurück. Hinter sich hört er, wie die Tür aufspringt und sich Mutter und Sohn um den Hals fallen.

Da ist er schon auf Höhe der Bank und sein Herz zieht sich zusammen. Noch einmal dreht er sich um und sieht durch die von Tränen benetzten Augen, wie Mutter und Sohn ins Haus gehen.

Er bleibt allein zurück, denn der Sonntag ist zu Ende.