Diese Geschichte schrieb maloga.at Liebe/Drama

Ich werde immer bei dir sein

„Morgens ging ich noch nichtsahnend zur Arbeit“, würde ich gerne sagen, doch tät ich dabei lügen. Viel eher ist es so, dass morgens bereits eine leise Ahnung in mir hochkriechen wollte, die ich geübt wegdrückte. Als ich mittags heimkomme und dich in den Armen deines Vaters schwer atmend seh, wird aus der Ahnung rasch Gewissheit. Vielleicht haben Mütter eine Art vorinstalliertes Notfallprogramm in den Genen? Oder alle Menschen sind prinzipiell damit ausgestattet, brauchen es jedoch nicht immer oder auch nie. Seit es dich in meinem Leben gibt, ist meines trainiert.

Ich ziehe sanft dein Shirt hoch, um mir eine Bestätigung zu holen, die ich in Wahrheit nicht brauche. Ja, dir fällt das Atmen schwer. Ich hole ein Sauerstoffsättigungsgerät aus unserer Notfallkiste und überlege währenddessen wie immer an dieser Stelle: „133 oder 144? Ich werde mir das nie merken“, obwohl dein großer Bruder immer wieder genervt die Augen verdreht und sagt „Mamaaa, bei 133 nimmst du Handschellen als Eselsbrücke für die Dreier!“ So what. Es will nicht in mein Hirn hinein.

Dein Sättigungswert liegt unter der Grenze. Während dein Vater mit dir im Arm meditiert und tief für dich atmet, wähle ich 144. Wegen der Handschellen. Ein Sanitäter, der so jung ist, dass sein Stimmbruch noch nicht vollzogen ist, hebt ab. Ich kenne seine Fragen und lasse sie ihn nicht stellen. Ich rede gleich.

„Der Notfallort lautet … der Patient ist fünf Jahre alt und amtsbekannt … was ist passiert … schicken Sie auch den Notarzt los“.

Während ich das runter bete, befülle ich den Rucksack, der immer für genau diese Tage bereit steht mit Kleidung für dich und mich, Bücher und Kopfhörer für dich, Schokolade für mich. Der Sanitäter redet von einem Defi, den ich bereithalten soll. Ich gehe davon aus, dass er den falschen Spickzettel liest. Ich stelle mir nämlich immer vor, dass Notrufzentralen am Rand ihrer Bildschirme kleine gelbe Zettelchen kleben haben, die sie je nach Notfall vorlesen, zumindest klingen die immer so.

Der letzte Satz jedoch ist immer gleich. Daher nehme ich ihm diesen bereitwillig ab und sage „Ich weiß, die schnellstmögliche Hilfe ist unterwegs zu mir!“ und lege auf. Ich finde mich an der Stelle arrogant, und beschließe, mich später zu reflektieren.

Wenige Minuten später sehen wir das Blaulicht und unser Haus ist überfüllt mit roten Männern, vielen Fragen und ein paar Tränen. Du bist nicht mehr ganz bei Bewusstsein und das ist vielleicht auch gut so. Und doch greifst du nach meiner Hand, die ich in den nächsten siebzig Minuten nicht loslassen werde. Ein wunderbarer Notarzt begleitet uns. In mir ist alles ruhig und geordnet. Einmal dachte ein Notarzt, ich sei die Ärztin und die Ärztin deine Mutter, weil ich so ruhig wirkte im Notfall.

Noch weiß ich nicht, dass ich die nächsten zwei Nächte nicht schlafen werde und dabei dennoch nicht ermüde. Noch weiß ich nicht, dass wir wieder um dich kämpfen müssen. Noch weiß ich nicht, dass mich nach Ablauf der nächsten acht Tagen die Traumata der letzten Jahre überholen.

Was ich weiß, ist, dass ich deine Hand nicht loslassen werde. Ich werde immer da sein. Was ich mittlerweile auch weiß, ist, dass ich Experten sagen muss, was ich spüre, weil sie deine Not oft nicht erkennen und nur ich sie erfasse. Genau so rette ich dich. Auch diesmal.

Zwei Wochen danach …

wagen wir die ersten Schritte in den Garten. Die Sonne ist so freundlich und lässt uns Lichtmess spüren. Und ist damit heilsam.

Auf noch wackligen Beinen steigst du auf dein Baumhaus. Oben angelangt lachst du stolz zu mir herunter und steckst mir deine Hand entgegen.

„Geschafft!“, strahlst du.

Ich nehme deine kleine Hand und drücke sie.

„Ja. Geschafft!“

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