Diese Geschichte schrieb @fusseln.im.kopf Thriller

Chipsal

Hektisch suchten ihre Hände die Taschen ihrer Jeans ab. „Das gibt’s doch nicht, so eine Scheiße!“, entfuhr es ihr genervt. Suchend wanderte ihr Blick über die Reihen der Einkaufswagen vor ihr. Alle waren akkurat aneinander gekettet, während sie natürlich mal wieder weder Chip, noch Euros griffbereit hatte. Liv stellte ihre Handtasche auf den Boden und begann darin zu wühlen. Ihre Blase drückte bereits seit einiger Zeit unangenehm. „Wäre ich bloß nochmal auf die Toilette gegangen“, murmelte sie in sich hinein. Enttäuscht musste sie noch dazu feststellen, dass sich auch in ihrer Tasche nichts Brauchbares fand. Dabei hatte ihr ihre Freundin Kaddi diesen Einkaufschip geschenkt, den man nach dem Einstecken gleich wieder herausziehen konnte. Liv hatte das damals unfassbar gefeiert und beim Streifzug durch das anliegende Gewerbegebiet alle Einkaufswagen befreit. Wo war dieses verdammte Ding denn nur, wenn man es brauchte? Sie fluchte erneut, während sich abermals ihre Blase meldete.

„Möchten Sie meinen?“ Liv blickte auf. Wie aus dem Nichts, stand plötzlich ein Mann stand vor ihr und starrte sie an. „Den Einkaufswagen. Sie brauchen doch einen, oder nicht?“ Liv lächelte: „Wie bitte?“

„Warum würden sie sonst hier neben den Einkaufswagen hocken?“ stellte der Mann fest. Sie lächelte freundlich, erstarrte jedoch, als ihre Blicke sich trafen. Irgendetwas war seltsam an dem Typen.

„Ja, Sie haben recht. Diese blöden Wagen mit ihren Chips sind echt nervig. Unangekündigter Besuch ist noch schlimmer, aber gleich danach kommt der Chip“, versuchte Liv humorvoll zu sein.

Doch der Mann lächelte nicht, erwiderte stattdessen: „Da hinten steht mein Auto, ich bin nicht gut zu Fuß, begleiten Sie mich, ich werfe meine Tüten ein und sie können meinen Einkaufswagen haben. So erspare ich mir einen Weg.“ Er grinste nun breit und seine gelblichen Zähne lösten bei Liv kurzzeitig Ekel aus.

„Klar!“ stimmte sie zu und sprang auf, musste jedoch ihr Tempo direkt wieder drosseln, weil der Mann tatsächlich nicht gut zu Fuß war.

Als sie den Wagen erreichten, betätigte er die Fernbedienung. Die Schiebetür seines Vans glitt automatisch auf. Ihm fiel es schwer, die Einkäufe selbst ins Auto zu schaffen, daher half Liv ihm. So ging es schließlich auch schneller.

„Fertig!“, rief sie und griff reflexartig nach dem Einkaufswagen, der in den Van zu rollen drohte. Doch bevor sie ihn packen konnte, spürte sie einen kräftigen Druck um ihren Hals. Sie wurde zurückgerissen,und ein übel riechendes Stück Stoff schloss sich ihr über Mund und Nase. Und noch bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde es dunkel und still um sie.

Als Liv erwachte, befand sie sich zusammengekauert auf dem Rücksitz eines Fahrzeugs. Der Wagen fuhr ruhig auf der Straße. Sie konnte nicht erkennen, wer vorne am Steuer saß. Ihre Hände waren gefesselt. Ihre Blase hatte sich entleert, die nasse Jeans verriet dies unmissverständlich. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie dachte an all die True Crime Geschichten, die sie gehört und all die Ratschläge, die sie sich unbedingt hatte merken wollen. Jetzt lag sie hier, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie konnte ihr nur sowas passieren? Aber war Victim Blaming jetzt wirklich das Einzige was ihr einfiel? Doch sie konnte nicht anders, als sich die Schuld an ihrer Situation zu geben.

„Bist also aufgewacht“, erklang plötzlich eine Stimme aus dem vorderen Teil des Fahrzeugs. Liv erkannte die Stimme sofort und geriet in Panik. Sie begann zu schreien.

„Sei ruhig du Miststück“, brüllte der Mann und schlug auf sie ein. Doch Liv konnte sich nicht beruhigen.

„Halt die Klappe verdammt, ich schlag dich tot!“ Er wandte sich um und schlug brutal zu. Verzweifelt versuchte Liv, die Schläge mit ihren Armen abzuwehren. Plötzlich gab es einen lauten Knall, das Auto geriet ins Schleudern und Liv prallte hart gegen die Vordersitze. Und dann … war wieder alles dunkel.

Am Ende war es erneut ein Einkaufswagen, der Liv vor dem Schlimmsten bewahrte. Ihr Entführer, Georg P., 52 Jahre, streifte mit seinem Van aufgrund seiner Unachtsamkeit den Einkaufswagen eines Obdachlosen, der gerade dabei war, mit seinem Hab und Gut die Straße zu überqueren. Für Georg P. kam jede Hilfe zu spät. Doch Liv wurde nur leicht verletzt und hatte am Ende auf seltsame Weise das CHIPSAL auf ihrer Seite.