Hotelgeschichten mal anders
Ein Stromstoß ging durch ihren Körper. Sie schrak auf und schlug eine leere Whiskeyflasche um. Es schepperte. Glassplitter schlitterten über den billigen Linoleumboden.
Fuck, mein Schädel brummt. Sie wischte sich über das Gesicht. Die Augen juckten hinterhältig und sie bereute es eine Sekunde später. Die schwarze Farbe an ihren Händen bewies, dass heute früh keine Zeit mehr gewesen war, um sich abzuschminken.
Sie stand auf, trat in eine der Glasscherben und brüllte auf. »Fuck! Warum passiert mir immer so eine Scheiße?«
Die Antwort auf die Frage kannte sie nur zu gut. Ihr passierten immer solche Dinge, weil sie einen Lebensstil wie keine zweite führte. Ihre schwarz lackierten Fingernägel pulten die Scherbe aus dem Fleisch heraus. Die Wunde schmerzte nun doller und jeder Schritt, den sie tat, hinterließ einen Abdruck, einen Beweis, dass sie dort gewesen war. Irgendwann. Bis die Reinigungskraft käme und alle Spuren beseitigen würde.
Mit einem Quietschen öffnete sich die Badezimmertür. Chaos schlug ihr entgegen. Überall hing Klopapier, nur nicht auf der Papprolle neben dem Klo. Flaschen lagen herum und irgendjemand hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Zigarettenstummel in den ausgetrockneten Alkoholflaschen zu sammeln. Am Boden lagen Klamotten. Sie stanken so, dass sie die Nase rümpfen musste.
»Herrgott! Wie lange war ich hier nicht mehr drin?« Sie setzte sich aufs Klo und irgendwas fühlte sich komisch an. Ein Blick nach unten zeigte, dass sich das Wasser in der weißen Schüssel rot färbte. »Auch das noch.«
Von der Stange, die den Duschvorhang hielt, schnappte sie sich einige Stücke Klopapier. Nach der ersten Berührung hatte das weiße Papier schon rote Fingerabdrücke. Sie runzelte die Stirn, dann machte es Klick. »Richtig … Die Scherbe.«
Weil sie keine Ahnung hatte, wo sie die Binden zuletzt gesehen hatte, faltete sie mehrere Lagen Toilettenpapier und legte sie in ihren Slip.
Schwerfällig wie ein Wal stand sie auf und ging zum Handwaschbecken. Aus dem beschmierten Spiegel glotzte eine Version ihrer selbst heraus, die sie beinahe für jemand anders gehalten hätte.
Die Wimperntusche verlieh ihr den typischen Waschbär-Look des nächsten Morgens. Zusätzlich hatte sie den schwarzen Lidschatten zum linken und rechten Ohr hin verschmiert. Das Make-up erinnerte sie an die Maske einer verunglückten Superheldin. Der Lippenstift war dermaßen ausgefranst, dass man hätte denken können, sie hätte heute Nacht jemanden bei lebendigem Leibe aufgefressen. Das grünliche Licht der Badezimmerbeleuchtung ließ das Rot des Augeninneren intensiver wirken.
Um den Bauch prangte eine breite Strieme. Keine Frage, woher. Daniel hatte gestern Abend definitiv mehr gewollt als sie.
Sie sah dem Spiegelbild in die Augen.
Und dabei hatte der Abend so lustig angefangen. Die zwei hatten sich mit Freunden getroffen, ordentlich gebechert und irgendwann brannten die Geldscheine. Sie hatte keinen Schimmer gehabt, wessen Geld da brannte, aber auf einmal ging alles sehr schnell. Sie mussten verschwinden und Daniel nutzte die Situation, um sie in eine abgelegene Gasse zu drängen.
Beim Gedanken daran, was er da gestern gesagt hatte, musste sie nun ihr hässliches Spiegelbild angrinsen.
»Komm Lis, du willst es doch auch«, hatte er gemeint.
Lis hatte selten so herzhaft gelacht. Das war das übelste Klischee. Und das hatte sie Daniel auf die Nase gebunden.
Mit irgendetwas hatte er versucht, sie zu halten: mit einem Draht? Oder einem Gürtel? Es hatte sich in die nackte Haut ihres Bauches geschnitten. Mit aller Kraft hatte sie nach Daniel mit etwas geschlagen. Hatte sie einen Stein zu fassen bekommen? Die Erinnerung war schwammig.
»Ich bin so viel besser als du«, hatte sie geschrien und war losgerannt. War sie gleich ins Hotelzimmer Nummer siebzehn gerannt? Ihre rettende Insel vor der Außenwelt.
Der restliche Abend war wie ausgelöscht.
Jetzt, da sie in den Spiegel sah, war sie sicher, dass der Abend völlig aus dem Ruder gelaufen war.
Ein Stöhnen drang an ihr Ohr. Lis drehte den Kopf in Richtung Zimmer.
Da war es wieder, gefolgt von einem: »Fuck«.
Hatte sie gestern jemanden mit aufs Hotelzimmer genommen? Sie blickte wieder in den Spiegel. »Mist!«
Es konnte durchaus möglich sein, dass die Erinnerungsfetzen eine verkehrte Reihenfolge angenommen hatten. Daniel hatte ihr eine Pille auf die Zunge gelegt, bevor sie aus dem Club verschwinden mussten. Sie hatte keine Ahnung, was das für ein Zeug gewesen war.
Langsam schlich Lis ins Zimmer und die Blutflecke ihres Fußes folgten ihr.