Das Date
„Fang mich doch“, höre ich Lena rufen und sehe sie, mit fliegenden Haar, durch die Sonnenblumen rennen. Ihr Lachen weht zu mir rüber, während ich ihren Anblick genieße. Das Licht der tiefstehenden Sonne lässt ihr brünettes Haar schimmern. Die Strahlen verfangen sich in ihren Locken, spielen mit ihnen und zum wiederholten Male denke ich, sie ist die schönste Frau, die ich kenne. Immer wieder dreht sie sich zu mir um. Und obwohl sich der Tag dem Ende neigt, gibt sie mir das Gefühl, mit ihr geht die Sonne auf. Als Lena merkt, dass ich ihr nicht mehr folge, bleibt sie einen Moment stehen und winkt mir lächelnd zu, ehe sie weiter in das Feld verschwindet. Meine Mundwinkel zucken nach oben und ich gehe ihr nach. Der süße Klang ihrer Stimme lenkt mich durch die Blumen, die mittlerweile so hoch gewachsen sind, dass sie mich überragen. Jeden Tag komme ich auf meinem Arbeitsweg an dem Feld vorbei. Aus irgendeinem Grund dachte ich, es sei perfekt für das dritte Date. Was Besonderes, was bestimmt noch keiner mit ihr unternommen hat. Glaube ich jedenfalls. Es gefällt ihr, das merke ich. Ich lausche und versuche ihr Lachen zu hören. War sie nicht gerade direkt vor mir?
„Lena?“, rufe ich laut und spitze die Ohren. Keine Antwort. Ich kann nur das Rauschen des Windes vernehmen. In welche Richtung ist sie abgebogen?
„Wo bist du?“ Meine Stimme schwankt nervös. Mein Date kann ja nicht spurlos in einem Feld verschwinden. Oder kann sie? Die Frequenz meines Herzschlages erhöht sich und ich weiß nicht, ob das an meinen schnellen Schritten liegt oder ob ich grundlos panisch werde. Ich irre durch die Blumen. Was mir vor Stunden noch romantisch vorkam, fühlt sich jetzt wie der blanke Horror an. Mittlerweile ist die Sonne fast gänzlich untergegangen, was mir die Sicht zunehmend erschwert. Immer wieder bleibe ich stehen und lausche. Hoffe, dass ich was höre. Doch es bleibt still, unheimlich still. Da plötzlich ein Rascheln. Angestrengt konzentriere ich mich auf das Geräusch. Es klingt nicht menschlich. Was kann das sein? War das eine Bewegung neben mir? Ich erkenne kaum noch was. Mich streift was im Gesicht. Hektisch blicke ich mich um, drehe mich im Kreis und sehe nur die dunklen Umrisse der Pflanzen. Ich verliere die Orientierung. Da war wieder das Rascheln. Es ist nah, wird immer lauter. Ich spüre was am Bein. Erschrocken schreie ich auf, nur um mich im nächsten Moment zu schämen. Ich benehme mich wie ein kleines Kind und selbst das wäre wahrscheinlich mutiger als ich.
Erneut rufe ich Lenas Namen. Wieder keine Reaktion. Das kann nicht sein. Was, wenn etwas passiert ist?
„Reiß dich zusammen, was soll hier schon passieren?“, frage ich mich laut und in meinem Kopf tauchen sofort Szenen mit Serienmördern auf, die wehrlosen Frauen zwischen Sonnenblumen die Kehle durchschneiden. Was Blödsinn ist, denn dann würde ich Schreie hören. Aber bis auf meinen Atem, höre ich gerade gar nichts. Selbst der Wind hat mich alleine gelassen. Ich zwinge mich, durchzuatmen. Die kühle Luft rauscht in meine Lungen und mit einem Seufzen puste ich sie wieder aus. Auf meiner Stirn sammeln sich Schweißperlen, die ich mit meinem Handrücken wegwische. Langsam beherrscht mich meine Angst und ich wünsche mir, ich würde im Auto neben Lena sitzen. Lena, die ich seit Beginn meines Studiums toll fand und die ich jetzt zwischen den Sonnenblumen verloren habe. Vorsichtig laufe ich los, versuche mich zurechtzufinden. Völlig in rasenden Gedanken, merke ich nicht, wie sich ein Schatten an mich ran schleicht. Erst als dieser mich laut brüllend anspringt und ich panisch kreischend stolpere, nehme ich ihn wahr. Aus dem Brüllen ist ein Lachen geworden und über mir steht eine strahlende Lena.
„Na, hattest du Angst?“ Frech grinsend schaut sie mich an.
„Nein.“ Dass ich mir fast in die Hose gemacht habe, sage ich ihr besser nicht.
„Lügner“, sagt sie lachend und hilft mir hoch. Sie schlingt ihre Arme um mich und haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen.
„Halte mich für durchgeknallt, aber das war mit Abstand das aufregendste Date, was ich je hatte“, haucht sie, nimmt mich an die Hand und gemeinsam suchen wir mein Auto.