Diese Geschichte schrieb jana-lycka.de @jana_lycka_autorin Beziehung

Auf der Bremse

Echt jetzt? Ich konnte es nicht fassen. Vorsichtig sah ich ihn von der Seite an. Bestimmt machte er einen Witz? Wie sollte es anders sein? Ich hatte sein Versprechen. „Torsten?“ Er konzentrierte sich auf den Verkehr. Ich lehnte mich im Sitz zurück und versuchte, meine Gefühle zu analysieren. Ruhig zu bleiben. Nicht laut loszuschreien. Durchzuatmen. „Torsten?“ Ich wurde langsam lauter. „Hmhm?“ „Wir müssen darüber reden!“ „Worüber?“ Ich stöhnte innerlich. Konnte er wirklich gerade komplett übersehen, dass ich kurz vor einer Eruption epischen Ausmaßes stand? „Über deinen … Vorschlag.“ Die Formulierung war Absicht, jetzt musste er reagieren. Die Frage war nur, was ich mit der Reaktion anfangen würde. „Meinen Vorschlag?“ Okay, ich hatte seine Aufmerksamkeit. Er verlangsamte und sah mich sogar kurz fragend an. „Was für ein Vorschlag?“ Die Lava begann zu brodeln. „Dass wir nach München ziehen.“ „Ja, du wirst sehen, die Wohnung, die mein Chef uns zur Verfügung stellt, ist der Hammer.“ Ich zögerte. Wollte ich dieses Gespräch jetzt führen? Mit all seinen Konsequenzen? Ein Seufzer entfuhr mir, den mein Freund mal wieder völlig falsch deutete. Er legte mir die Hand mit sanftem Druck aufs Knie und lächelte. „Schön, dass du dich freust.“ „Und was ist mit dem Lädchen?“ „Hmhm?“ Wenn er das noch einmal wiederholte, würde ich ihn bei voller Fahrt k.o. schlagen. Ich holte tief Luft. Was nützte es mir, das Gespräch weiter vor mir herzuschieben? War ich bereit, von einer Dreißiger-Zone in die nächste zu ziehen? Immer auf der Bremse zu stehen, um ihm seine Überholspur zu ermöglichen? „Wir hatten das doch fest vereinbart? Solange du in eurer Berliner Filiale bist, komme ich mit dir und verkaufe meine Klamotten über die Website.“ „Ja, das hat doch auch super funktioniert! Hätte ich gar nicht gedacht, dass so viele Leute deine Shirts gut finden.“ Ich schnaubte. „Na vielen Dank.“ War dieser Mann schon immer so überheblich? „Aber wir hatten abgemacht, dass ich nach den drei Jahren den Laden von Mama übernehme.“ „Aber dein Zeugs verkauft sich übers Netz so gut, das reicht doch.“ „Aber ich habe Mama fest zugesagt, den Laden zum 1. zu beziehen, damit sie in Rente gehen kann. Torsten, sie hat schon mit der Renovierung begonnen, damit ich pünktlich mit … meinem Zeugs … einziehen kann.“ Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „München ist wieder für drei Jahre. Dann machst du das mit dem Lädchen eben danach.“ Nein! Etwas in mir explodierte. Ich hatte zurückgesteckt, immer wieder. Zwei Jahre hier, drei Jahre da. Umzug, Umzug, nie etwas Festes. Meine Familie sah ich viel zu selten. Aber das alles war verschmerzbar mit der Aussicht, jetzt endlich loslegen zu dürfen. Und nun sollte ich weitere drei Jahre Warteschleife akzeptieren? NEIN! Ich schrie lauter, als ich selbst für möglich gehalten hatte. Vor Schreck trat Torsten auf die Bremse. Ich schnappte mir meine Tasche und stieg aus. Ich rechnete fest damit, dass er ebenfalls aussteigen würde, doch Sekunden später sah ich nur noch seine Rücklichter. Okay. Schön. Ich stand mitten in der Pampa. Aber zumindest zeigte das Verkehrszeichen, gegen das ich gerade trat, nicht mehr die fette 30…