Drei Zeitformen der Hoffnung
JETZT
Ich laufe durch den Wald, ziellos, in Gedanken gefangen. Das Gewirr aus den kahlen, braunen Stämmen wird gegen Ende meines Blickfeldes zu einer homogenen, grau-braunen Masse, aus der nur dann und wann ein Tupfer helleres Braun von verwelktem Laub auftaucht.
Der Anblick hat etwas Hoffnungsloses, obgleich der Wald im Allgemeinen für mich eines der ursprünglichsten Symbole für das Leben an sich ist.
Durch einen Laut aufgeschreckt blicke ich nach rechts. Und da sehe ich, in einem grau-braunen Baumstamm, ein Herz in die Rinde geritzt. Und um das Herz herum, wie zur Bestätigung seiner Aussage, kräftig grünes Moos. Der Hoffnungsschimmer der Liebe in der Verzweiflung, denke ich.
Ich reiße mich los von dem Anblick. Versuche, vor der Erinnerung zu fliehen…
GESTERN
Aufgehäufte Äste. Wie unachtsam auf die Seite geworfene Existenzen. Achtlos zur Seite geschobene Gedanken. Der Baumstumpf des Baumes, zu dem die Zweige gehörten, ragt daneben klagend in die Höhe. Und auch hier wieder – wie zum Trotz – knallgrünes Moos an dessen Wurzeln – so grün, dass es fast nicht real zu sein vermag …
Der Blitz hat eingeschlagen. Das sagt man, wenn der Fernseher kaputt ist, durch die zu hohe Stromladung. Heute nicht mehr. Da gibt es Überspannungsschutz in den Leitungen. Manche sagen das aber auch über die Liebe. Der Blitz ist eingeschlagen. Er ist wie ein Blitz in mein Leben geschlagen. Aber wo der Blitz ein Mal eingeschlagen ist – was ist da noch? Ist das denn so positiv? Ich denke mir, wo der Blitz eingeschlagen ist – da bleibt eigentlich doch nur verbrannte Erde. Und manchmal, manchmal ist es mit der Liebe auch so.
Damals, bei diesem einen Spaziergang. An diesem einen, besonderen Tag. Da hat er dieses Herz in den Baum geritzt. Im optimistisch-verliebten Übermut. Wir beide – gegen den Rest der Welt. Wir beide – gegen diese beschissene Krankheit.
Damals hätten wir nie geglaubt, was das Schicksal für uns bereithalten würde. Was die Zukunft für uns bereithalten würde. Positive Dinge – aber auch negative Dinge. Dinge, die so schlimm waren, dass man beim puren Gedanken daran verzweifeln könnte.
Stille Erinnerungsfetzen treiben in meinem Kopf umher, machen ihn stumpf. Ich denke an weiße Götter, die, selbst ständig getrieben, vorbeieilen. In ihren Augen so oft Gleichmut.
Ich versuche aus dem Loch meiner Erinnerung herauszukriechen. Mühsam, finde keinen Halt. Die Erde um mich herum riecht muffig. Es geht um Sein, und vor allem um Werden.
Ich habe Angst vor dem Werden. Ich hatte Angst, dass es zu schnell wird. Die Endlichkeit in meiner vorher persönlich empfundenen Unendlichkeit. Ich friere. Bin gefangen in meiner vorgestellten Realität. Die Angst ist auch bei ihm angekommen. Sie streckt ihre gnadenlosen, kalten Finger aus. Sie schwimmt in unser beider Strömung.
Die Gedanken sind uferlos – ich finde den Ausweg nicht. Und doch – ich schaffe es – irgendwie.
Ich spüre, wie sich irgendetwas in meinem Umfeld verändert. Da ist …
DIE ZUKUNFT
Plötzlich spüre ich eine Berührung. Ich schaffe schließlich den Sprung aus meinen Gedanken und bemerke, dass er neben mich getreten ist. Streicht mir zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn, hinters Ohr. Die Berührung rettet mich, jetzt.
Wie geht’s dir? Fragt er leise.
Ich drehe mich zu ihm. Die Tränen in meinen Augen wische ich mit einer Handbewegung weg.
Ich habe es geschafft. Wir haben es geschafft.
Ich lächle.
Gut, sage ich.
Ich bin froh, dass wir es geschafft haben. Ich bin froh, dass der Blitz bei uns viel mehr hinterlassen hat, als nur verbrannte Erde.
Nämlich ein Wir. Ein Wir, das stark genug war, all das auszuhalten.
Ein Wir, ein Bollwerk gegen die Widrigkeiten des Lebens.
Ein Wir, das heute immer noch – und wieder – gemeinsam hier steht.
Ich schmiege mich, halb Rücken, halb Seite, an ihn. Atme seinen vertrauten Duft. Und plötzlich höre ich entfernt einen Vogel zwitschern.
Auf die Hoffnung, in mir, in dir, in uns. Für immer.