Diese Geschichte schrieb carolin-uliczka.de/autorin @carolinuliczka Slice of Life

Die Trennung

»Es hat einfach alles keinen Sinn mehr.« Völlig unvermittelt stand er vom Sofa auf und lief durchs Wohnzimmer. »Ich brauche meine Freiheit zurück.«

»Wie bitte?« Sie reduzierte die Fernsehlautstärke. »Wovon sprichst du?«

»Na von uns!« Er gestikulierte wild zwischen ihnen beiden hin und her.

Sie machte große Augen.

»Ich habe uns mit dem Wochenende noch eine letzte Chance gegeben, aber das war nichts«, sagte er.

»Du hast was?« Nun stellte sie den Fernseher lieber ganz aus.

»Ich meine, du und ich, da ist die Luft raus.«

»Ich verstehe nicht ganz, der Alltag holt doch alle irgendwann ein.«

»Ich freue mich nicht mehr darauf, Zeit mit dir zu verbringen. Ich sitze sie nur noch ab.«

Sie schluckte.

»Ich sitze neben dir und habe dir nichts mehr zu sagen.«

»Aber …« Sie fühlte sich wie damals in der Schule, als man ihr die Klausur einfach entriss, obwohl nicht sie abgeschrieben hatte, sondern ihre Tischnachbarin. »Wir unterhalten uns doch.«

»Du unterhältst uns, ich höre bloß noch zu.« Er blieb stehen und kehrte ihr den Rücken zu.

»Daran können wir doch arbeiten.« Ihre Stimme bebte.

»Könnten wir, aber ich will nicht.«

»Du willst nicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe alles gegeneinander aufgewogen und es hat keinen Zweck mehr. Glaub mir einfach.« Er drehte sich um und legte seine rechte Hand auf die linke Brust. »Das schlägt zwar noch, aber nicht mehr für dich.«

 

Ihrer Freundin fiel der Kaffeelöffel aus der Hand. Laut klirrend landete er auf ihrer Untertasse. »Das hast du doch hoffentlich nicht einfach so stehen gelassen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Ich habe …« Ihr Blick verharrte auf dem Kuchen, der am Nachbartisch gerade serviert wurde. Bienenstich.

»Ihm mal so richtig die Meinung gegeigt?« Ihre Freundin nahm den Kaffeelöffel wieder in die Hand und fuchtelte damit herum wie mit einem Degen.

»So ähnlich.«

»Nun sag schon!« Ihre Freundin wurde lauter. »Was für ein Idiot, ehrlich!«

Sie blickte wieder auf ihr eigenes Stück Kuchen, das sie bislang nicht angerührt hatte. Donauwelle. »Ich habe seine Sonnenblume umgeknickt.«

Ihre Freundin fror mitten in der Bewegung ein. Nur ihre Augenlider zwinkerten noch, unablässig und in hohem Tempo.

»Du weißt schon, die Sonnenblume, wegen der er sich mit seiner Mutter in den Haaren hatte.« Sie stocherte mit ihrer Gabel in der Schokoschicht herum. »Weil sie der Meinung war, man muss sie anbinden, damit der Wind sie nicht umweht, und er meinte, jegliches Anbinden käme einer Freiheitsberaubung gleich.«

Ihre Freundin ließ sich auf dem Stuhl zurückfallen. »Ehrlich gesagt weiß ich gerade gar nichts mehr.«

Sie hebelte eine Kirsche aus dem Teig. »Seine Sonnenblume eben. Die vorm Haus. Das Sinnbild seiner Freiheitsliebe.«

»Und die hast du … umgeknickt?«

Sie nickte eifrig. »Mit der Blüte voll auf die Steine.«

»Einfach so?«

»Einfach so.«

»Und das bringt er jetzt wie mit eurer Trennung in Verbindung?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wollte ihm auch wehtun.«

»Du hast vor allem der Sonnenblume wehgetan.« Ihre Freundin war schon zu Schulzeiten stets in der Umwelt-AG aktiv gewesen.

»Pff!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Dass er sie nicht angebunden hat, war seine Form der Rebellion. Dass ich sie umgeknickt habe, ist nun eben meine. Dann sieht er mal, wozu Freiheit auch führen kann.«

Ihre Freundin stöhnte auf. »Und ich dachte, ich habe heute keinen Dienst, aber der Kindergarten holt einen ja überall ein.«

Sie fing an zu zweifeln. Die Sonnenblume konnte schließlich wirklich nichts dafür. Hatte sie nun etwa ein Ökosystem auf dem Gewissen? »Du meinst, das war keine gute Idee?«

»Sicher nicht deine beste.« Ihre Freundin grinste. »Aber ganz sicher auch nicht deine schlechteste.«

Sie seufzte und widmete sich als Nächstes der Buttercreme. »Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll.«

»Dafür hast du ja mich. Gemeinsam trotzen wir diesen stürmischen Zeiten.«

Sie blickte zu ihrer Freundin auf.

»Jeder Mensch braucht mal eine Stütze, wenn’s ihm an die Wurzeln geht, damit er ungehindert weiterwachsen kann.« Ihre Freundin griff über den Tisch nach ihrer Hand. »Und jetzt hör auf, mit dem Essen zu spielen. Sonst geht es auch für dich morgen wieder in die Kita Sonnenschein, mein Blümchen.«