Diese Geschichte schrieb Belletristik

Nasse Wälder

Es war warm. Milchwarm. Simmernd. Bereits am frühen Morgen hatte die Hitze drei Butterbrote verschlungen. Über ihren grünglasfarbenden Bikini hatte sie ein dünnes gemustertes Sommerkleid geworfen. Sie wollte so schnell wie möglich ans Meer, schwimmen.

Sie stolperte hastig die schweren Holztreppen runter, in den Flur und zog sich unbeholfen ihre braunen Ledersandalen über.

Handy. Handtuch. Handtuch. Handtasche.

Wo war ihr Handy?

Nanala schaute sich suchend um. Auf der Kieferkommode lag ein Stapel an Werbeprospekten. Sie hob die Prospekte hoch.

Sie hatte richtig geraten. Sie nahm ihr Handy hoch und sah den Akkustand.

Nur noch 20 Prozent. Sie musste dringend ihr Handy aufladen. Noch dringender musste sie das Wohnzimmer und die Küche aufräumen – eigentlich.

Sie stand unentschlossen im Türrahmen und seufzte. Es nützte nichts. Das Kabel war irgendwo in diesem Chaos. Und sie musste dringend aufräumen.

Es stapelten sich dreckiges Geschirr auf dem honiggelben Tisch, die Pizzakartons und leere Chipstüten auf dem Boden. Der Fernseher lief immer noch leise. Nanala kratzte sich am Kopf. Heute Abend. Ganz bestimmt.

Sie beschloss, erstmal die Terrassentür aufzumachen, um die stickige Luft im Raum gegen warme Luft zu tauschen. Mit vier Schritten durchquerte sie den Raum und öffnete ihn für das braune Grün des Sommers. Der Rasen war trocken wie Stroh, die Tannen standen Schatten spendend stumm Wache.

Jetzt musste sie nur noch das Kabel finden. Ob sie wieder so viel Glück hatte?

Sie hob das blaue Kissen des rapsgelben Sessels, der direkt neben der Terrassentür stand, hoch. Sie strahlte wie die Sonne am Himmel. So unordentlich war sie doch nicht.

Die einzige freie Steckdose war noch in der kleinen Küchenzeile der Wohnküche. Nanala balancierte sich einen Weg aus dem Hindernislauf, den sie aus ihrem Wohnzimmer gemacht hatte.

Sie steckte ihr Handy ein und machte sich auf die Suche nach einem sauberen Glas. Doch ihre Bemühungen waren vergebens. Das einzige saubere Geschirr, das sie noch fand, war der Messbecher im oberen Regal. Nanala zuckte mit den Schultern. Dann war es so. Sie öffnete den Wasserhahn und füllte den Becher mit eiskaltem Wasser. Sie drehte sich zum Fernseher um, trank gedankenverloren, wartete auf ihr Handy. Nachrichten. Die Fernbedienung würde sie heute nicht mehr finden.

Nanala stellte den Messbecher ab. 30 Prozent Akku. Das musste reichen.

Ihr Fahrrad ratterte fröhlich über den Feldweg, an den Weizenfeldern entlang.

Nanala war froh über den Fahrtwind, der ihr Gesicht und die Oberarme kühlte.

Sie sah schon aus der Ferne die goldenen Felder der Sonnenblumen, die sich langsam im Takt zum leichten Sommerwind wiegten. Die Köpfe hatten sich bereits zur hoch stehenden Sonne gedreht und nahmen ein Sonnenbad. Sie konnte schon das Blau, das die Lücken zwischen den Blumen ausmalte und über den Rand malte, erkennen. Die braunen Stempel, die in der flirrenden Hitze glitzerten wie Bernstein, nutzte sie gerne für ihre Liebesbriefe als Poststempel. Sie freute sich schon darauf, die Sonnenblumenkerne aus den Blütenköpfen zu picken.

Nanala schloss kurz die Augen. Sie roch die Wärme, Steinstaub, Sonnencreme – Rauch.

Seit Wochen gab es erhöhte Waldbrandgefahr. Und von ihrem Schlafzimmer im Dachgeschoss konnte sie schon seit Tagen schwarzen Rauch sehen. Der Wald knisterte wie Brause.

Nanala öffnete wieder ihre Augen, ihr Herz Glycerin.

Sie fuhr den Berg hoch, wurde langsamer, bremste und kam stolpernd oben am Berg zu stehen. Sie atmete erneut tief ein, füllte ihre Lungen mit Sommersonnesonnenblumensauerstoff.

Die Wellen trugen weiße Spitze; sie wollte Gold waschen in den wogenden Felder der Sonnenblumen.

Sie strich sich mit den flachen Handrücken über ihre juliwarme Stirn. Gerade als sie wieder losfahren wollte, erkannte sie winzige Partikel, die vor ihren Augen tanzten. Nanala schaute hoch und streckte ihre Hand aus.

Ein Zögern durchdrang die Luft. Ein Warten. Ein Flehen. Eine Bitte.

Es war Ascheregen.