Diese Geschichte schrieb @eff_doubleyou_st Drama

Tanzende Schmetterlinge

Phil liebt die wilden Partynächte im Frühclub. Wenn der Bass auf spektakuläre Weise hämmert, er eins ist mit der Musik, die Drinks schmecken und seine Lieblingsmenschen diese Art des Zusammenseins zur Quality Time machen, mutiert der schüchterne junge Mann zu einem tasmanischen, rasenden Teufel der Tanzfläche. Die BPM‘s wummern dann in seinem Ohr und dieses harmonische Gefühl der Beseeltheit spürt er ganz tief im Inneren. Es ist, als wäre der Rhythmus zeitlos in seinem Körper, auf eigenen, speziellen Wunsch gefangen. In diesen Momenten fühlt er sich lebendig. Frei. Unbeschwert.

Wenn dazu der Schweiß von der Stirn rinnt, das T-Shirt klamm am Rücken klebt, der Körper bis zur Ekstase gefordert wurde, ist es, als wäre er der alleinige Gewinner der Nacht. Denn immer wieder ist es für den Tanzgott von der Tanzfläche, wie ihn seine Freunde ein wenig ironisch betiteln, ein Sieg über die dunklen Phasen der vergangenen Wochen. Und es ist genau dieser Triumph, der ihm beim Vergessen hilft. Kein Ärger. Keine Klausuren. Keine Sorgen und Nöte. Nur im Hier und Jetzt existieren. In seinem eigenen Universum aus Rhythmus und Tanz.

Das Rauschen des Blutes in den Ohren, welches die Melodie der Sorglosigkeit bis ins Herz transportiert, lässt Phil sich locker und besonders frei fühlen. Die Arme und Beine bewegen sich in diesen Augenblicken zum Beat, wie von allein. Dunkle Gedanken schweben, getragen von der Musik, einfach fort. Das ist es, was er braucht, um Erfüllung und Glück in jeder Faser seines Körpers zu spüren.

Als dem schwarzhaarigen Germanistik-Studenten bewusst wird, dass auch diese Nacht irgendwann zu Ende ist, begibt sich der Dreiundzwanzigjährige in Richtung seines Wodka Energys, kippt ihn auf Ex und ruft seinen Freunden triumphierend zu: „So Leute, es reicht. Noch zwei Stunden, dann bittet der Prof zur Vorlesung. Ich gehe schon mal raus.“

„Alles klar Digga, geh schon mal vor, wir folgen unauffällig. Spätestens in zehn Minuten kommen wir nach.“

Zufrieden, durchdrungen vom Takt, wippt er auf und ab und empfindet dabei immer noch dieses besondere, einnehmende magische Vibrieren in der Magengegend. Die plötzlich auftretende Helligkeit, die in seinen Augen für Schmerzen sorgt, als er durch die Tür des Clubs ins Freie tritt, blendet ihn und zwingt ihn dazu, die Augen zuzukneifen. Als er sich langsam an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hat, ist er einfach da. Wie aus dem Nichts: dieser wunderschöne, farbenreiche Schmetterling. Grazil bewegt er sich im Wind des frühen Tages. Ob er ihn wohl fangen kann? Was für eine Schönheit. Und da, noch einer. Phil ist schlicht überwältigt von so viel Anmut und Farbigkeit. Staunend verfolgt er den Tanz der Schmetterlinge am Himmel. Ein Ozean aus Wolken, umgeben von phosphoreszierenden, fliegenden Pastelltönen, umgibt ihn. Ein von der Natur geschaffenes Kaleidoskop aus Licht und Farbe. Niemals zuvor war er Zeuge eines solchen imposanten Schauspiels.

Er breitet die Arme aus und versucht den Geschöpfen am Horizont zu folgen. So bunt. So hübsch. So leuchtend. Die tanzenden Schmetterlinge um ihn herum fordern ihn regelrecht auf, ihrer Einladung zu folgen. Aufgeputscht von dem, was um ihn herum geschieht, startet Phil ein Dance Battle der besonderen Art. Mit seinen Füßen stampft er auf den Asphalt im Takt der tanzenden, vom Licht der aufgehenden Sonne illuminierten Schönheiten. Kreist mit den Hüften und bewegt die Arme gekonnt zum Takt der imaginären Musik in seinen Ohren. Er hüpft, springt und sinniert wortlos vor sich hin: Nietzsche sagte mal „du musst dein Leben tanzen“ und Phil tanzt und tanzt zusammen mit den Schmetterlingen. Niemals zuvor spürte er mehr Leben in sich, als in diesem Augenblick, beflügelt vom Zauber des Moments.

Von weitem beobachten Phils Freunde, belustigt von dem, was er in der Ferne veranstaltet, oder wem oder was seiner Aufmerksamkeit gilt, das Geschehen. Doch auch sie können ihn nicht vor dem tonnenschweren Linienbus beschützen, der ihn binnen eines Herzschlages erfasst, als er wie von Sinnen plötzlich tanzend auf die Straße hüpft und unter den schweren Reifen zermalmt wird.

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