Diese Geschichte schrieb @maro_pixandstories Drama

Sonnenaufgang

An diesem Tag stieg Peter das erste Mal selbst am Eppendorfer Marktplatz aus und übergab den Schlüssel dem Kollegen, der seine Schicht zu Ende fahren würde. „Das wird schon“, sagte dieser und schaute Peter aufmunternd und etwas mitleidig an.

Eppendorfer Landstraße 96, Dr. Dipl. Psych Martina Jonas. Peter drehte die Visitenkarte hin und her und vergewisserte sich 3-mal, dass die Hausnummer richtig war.

Er war zu früh, atmete tief aus und sah sich um. Das Tabakgeschäft nebenan wirkte laut mit der blinkenden Fensterbeleuchtung inmitten der weißen Gründerzeithäuser, gab ihm aber ein vertrautes Gefühl.

Peter strich immer wieder seine dunkelblaue Hose glatt. Er fühlte sich unwohl in seiner Kluft außerhalb seines Arbeitsplatzes, zum Umziehen hatte aber die Zeit nicht gereicht. Außer den Paketzustellern sah er niemanden in Uniform in dieser Straße, die er aus dem Fahrerfenster seines Linienbusses kannte.

Er näherte sich der Haustür Nr. 96, begutachtete das Klingelschild und drückte zögerlich den passenden Knopf. Der automatische Türöffner summte und Peter stieß die weiße, nach frischem Lack duftende Tür auf. Hier roch alles so anders als bei ihm zuhause. Dort war er froh, wenn die Nachbarn ihre stinkenden Müllsäcke vor ihren Haustüren ab und zu entsorgten.

Nun stand er in diesem vornehmen Treppenhaus. Es kamen Leute entgegen, aber sie grüßten nur freundlich und nichts weiter. Niemand schien etwas an ihm wahrzunehmen. Peter sah müde aus, wie immer. Dass nicht die anstrengenden Nachtschichten die Ursache dafür waren, sondern die Alpträume, das war nicht erkennbar. Abgenommen hatte er, die Hosen saßen lockerer, sogar etwas besser.

Die Praxis lag in der Belle Etage. Bevor er klingeln konnte, kam jemand heraus und Peter betrat den Flur. Einen Tresen wie in einer gewöhnlichen Arztpraxis gab es hier nicht, diverse Türen schlossen an den Flur an. Ob er an einer klopfen sollte? Kam jemand heraus? Peter schwitzte.

„Herr Müller?“ Eine Stimme sprach ihn von hinten an. Er drehte sich und streckte automatisch die Hand aus, sah aber keine, die es ihm gleich tat und ließ seine sinken.

„Bitte.“ Die Therapeutin lud ihn in einen der Räume ein.

 

„Schmetterlinge. Schmetterlinge, da sind überall bunte Schmetterlinge – flüsterte der junge Mann, als ich bei ihm kniete. Ich hatte ihn gesehen, wie er auf dem Gehweg hüpfte, mit den Armen wedelte, Pirouetten drehte, und ich freute mich über den Anblick. Fröhliche Menschen bei Sonnenaufgang erinnern mich an die Leichtigkeit meiner Jugend.

Und dann … hüpfte er unvermittelt auf die Fahrbahn … und ich fuhr nicht schnell … .“

Peter hatte langsam erzählt, mit vielen Pausen und tiefen Atemzügen. Er saß vornübergebeugt und starrte auf den Boden. „Die Schmetterlinge, die rauben mir den Schlaf.“