Gemeinsam
Mein Respekt vor Brustkrebs wuchs mit jedem Tag der verging. Meine Mutter erkrankte an ihm, genauso wie Oma. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kelch nicht an mir vorüberziehen würde, war hoch. Dennoch traf mich die Hiobsbotschaft vor einer Woche völlig unvorbereitet. Doch Aufgeben war keine Option. Ich würde diesen Kampf ausfechten!
Aber zuerst stapfte ich durch den schier endlosen Wald, durch den mein Freund Anton uns trieb. Er war der Meinung, dass wir beim Laufen den Kopf frei bekämen und unsere Sorgen für einen Nachmittag vergessen könnten. Ich hasste Wandern. Doch mehr graulte es mir davor, das Krebsthema mit Anton zu erörtern. Daher willigte ich ein. Denn der Weg war zu steinig für zwei Couchpotatos, wie wir es waren. Wodurch eine Unterhaltung kaum möglich war und mein Masterplan funktionierte.
Die Vorstellung, dass eine tödliche Krankheit in mir wuchs, ohne dass ich es bemerkt hatte, jagte mir jedes Mal einen eiskalten Schauer über den Rücken. Deshalb verdrängte ich das Thema, soweit es mir möglich war. Denn solange meine bevorstehende Operation in der Zukunft lag, war der Krebs nicht greifbar.
„Weißt du, wo wir lang müssen? Vielleicht sollte ich besser Brotkrumen streuen, damit wir später den Weg zurückfinden?“
„Vertrau mir, Schatz“, rief er über seine Schulter hinweg und marschierte weiter bergauf.
„Das hast du schon vor einer Ewigkeit gesagt. Wie lange dümpeln wir hier noch rum?“ Ich konzentrierte mich auf meine Schuhe, um bei dem steinigen Weg nicht zu stolpern.
„Es ist wirklich nicht mehr weit.“
„Du weißt, ich bin Optimistin. Aber langsam bezweifle ich, dass wir unser Ziel erreichen werden. Gib es zu, wir haben uns verlaufen“, nörgelte ich, als Anton abrupt stehen blieb und ich gegen ihn prallte. Ich spähte an ihm vorbei und sah meinen größten Alptraum vor mir. Eine Brücke.
„Vergiss es!“ Instinktiv wich ich einen Schritt zurück. Seit ich als Vierjährige, wegen eines morschen Brettes im Baumhaus durchbrach, mied ich alles, was höher als zwei Meter war. Die Angst zu fallen war allgegenwärtig. Anton wusste davon und trieb mich dennoch den ganzen Tag den Berg hinauf. Tränen der Wut füllten meine Augen. Ich wollte einen Tag vor der Krebsangst fliehen und stand nun vor einer bedeutsameren Angst.
„Du hast selbst gesagt, dass du eine Optimistin bist. Wenn das stimmt, müsstest du davon ausgehen, dass die Brücke hält und einfach rüber spazieren.“
Ich schnaubte über seinen Versuch, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen. Er verglich Äpfel mit Birnen! Denn es gab einen Unterschied zwischen meinem Optimismus und der Tatsache, dass wir uns das Genick brechen könnten. Um genau zu sein, betrug dieser eine beachtliche Höhe, spitze Felskanten und einen mitreißenden Fluss.
Anton setzte provozierend einen Fuß auf die Brücke. Bei dem Gedanken, er stürze ab, rutschte mir das Herz in die Hose.
„Warte, nicht.“ Ich trat einen Schritt auf ihn zu und ging meine Optionen durch, um ihn davon abzuhalten, diesen Weg zu gehen.
„Vertraust du mir?“
„Ja.“
„Ich weiß, dass dir dieser Weg schwerfällt, aber dort oben …“ Er deutete zu der Bergspitze. „… Dort oben wartet eine Aussicht, die dich für all deine Mühe entlohnen wird. Na komm.“
Meine Füße waren wie versteinert, ich schüttelte den Kopf und nahm die Tränen wahr, die ihren Weg über meine Wangen fanden.
„Ich schaffe das nicht.“
„Allein vielleicht nicht, aber gemeinsam schaffen wir alles.“ Er streckte mir seine Hand entgegen und strahlte mich an.
Wir sprachen längst nicht mehr über diese Brücke und er hatte recht. Zusammen könnten wir jedes Hindernis meistern. Ich wischte mir die Tränen weg, griff seine Hand und überwand meine Angst.