Liebe, immer wieder
»Einmal mehr erhob Phönix sich aus der Asche.
Im Feuer gestorben, im Feuer wiedergeboren. Fluch oder Gnade, es ist seine Bestimmung.«
»Nefi!«, ruft Sorcha. »Wir sollten weiter. Dein Phönix ist nicht hier.« Meine Freundin streicht ihr flammendrotes Haar zurück und wendet sich zum Gehen. Obwohl wir uns gestritten haben, vermag das ihre Stimmung nicht zu trüben. Sie liebt Irland, hat sie mir gestanden, und kann sich vorstellen, hier mit mir zu leben.
»Aber Phönix!«, hatte ich hilflos gestammelt.
Beim Zahlen schaut der Wirt mich durchdringend an. »Meidet den Wald. Die kreischende Fee geht um. Ihr Schrei bedeutet Unheil!«
Schlagartig wird mir kalt. Beim letzten Mal begegnete ich Phönix im Wald, wurde von seltsamen Rufen zu ihm geführt. Unter einem Gebüsch fand ich einen verletzten Vogel mit feuerrotem Gefieder. Meine Liebe verwandelte ihn in den Mann, den ich von früher kannte, dem ich alle fünfhundert Jahre wiederbegegne. Erneut wird mir klar, dass etwas nicht stimmt. Unser Wiedersehen und der gemeinsame Tod liegen nur wenige Jahrzehnte zurück.
Ich glaube, etwas zu hören. Die Hoffnung treibt mich voran, ich renne einen Pfad entlang, nehme kaum die dicht stehenden Bäume wahr. Ohne nachzudenken, stürme ich vorwärts.
Sorcha folgt mir, wir betreten eine wacklige Brücke.
Ein schriller Schrei reißt uns fast von den Füßen. Von dunklen Schleiern umweht schwebt ein Weib heran. »Dir blieb die Erinnerung, Neferet. Dafür hat Phönix sie verloren!«, ruft sie mit hohler Stimme und fällt wie ein Stein in den reißenden Fluss unter ihr.
Bevor ich sie zurückhalten kann, setzt Sorcha über das Geländer. Im Sturz entfalten sich riesige Schwingen. Ihr Körper scheint in Flammen aufzugehen.
»Sorcha«, schreie ich panisch.
Nach Ewigkeiten kämpft sie sich ans Ufer. Ein orangeroter Schimmer umgibt sie. »Ich konnte die Frau nicht finden.«
»Natürlich nicht. Sie entstammt dem Feenvolk und ist kein irdisches Wesen. Die Banshee überbrachte eine Botschaft aus dem anderen Reich.« Lächelnd schaue ich ihr in die Augen. Wieso habe ich die Seele, die mich so viele Leben lang begleitete, nicht gleich erkannt? Weder Mann noch Vogel, und dennoch mein Phönix. »Lass uns hierbleiben. Das willst du doch, oder? Irland ist ein Land der Wunder, es hat mir gezeigt, dass meine Suche beendet ist.«
Wasser rinnt ihr über die Wangen, oder sind es Tränen? Eilig schließe ich sie in die Arme.
»Aber was ist mit Phönix und deiner Liebe zu ihm?«
Irgendwann wird sie die Wahrheit erkennen, so wie ich jedes Mal. Ich frage nicht, warum sich alles verändert hat, wieso ich nach so kurzer Zeit wiedergeboren wurde und der Phönix nichts davon weiß, nicht einmal sein wahres Wesen erkennt. Vielleicht sind wir Spielbälle der Götter, möglicherweise ist das Schicksal auch nur gnädig. Mir ist es einerlei. Kaum hörbar murmele ich in ihr feuchtes Haar: »Ich habe ihn gefunden!«
»Was?«
»Bleiben wir einfach hier, Sorch, wie du vorgeschlagen hast. Dies ist ein magisches Land.«
»Aber was passiert, wenn der Phönix aus der Asche steigt?«
Statt es ihr zu erklären, ziehe ich sie heran. Kurz spüre ich Widerstand, dann sinkt sie nachgiebig gegen mich. Ihr warmer Atem streift meinen Hals. Seltsamerweise nehme ich erst jetzt den vertrauten Geruch wahr, heimelig wie ein Kaminfeuer, ein feiner Duft nach brennenden Holzscheiten. Beinahe glaube ich, das Knistern von Flammen zu vernehmen. Wann immer wir uns liebten, entfaltete mein Feuervogel seine Flügel.
Bald würde ich wieder fliegen!
© 2022 Sabine Reifenstahl
Die Geschichte, wie alles begann und Neferet Phönix zum ersten Mal fand, erschien als E-Book bei Amazon unter dem Titel »Träumerin und Feuervogel«.