Diese Geschichte schrieb handed.com @H_a_nded fiction

Emilia und die Möwen

Es war einer dieser schönen Sonnentage. Die Morgensonne beleuchtete den Balkon, den Emilia zu ihrem Feenreich ernannt hatte. Sie saß in einem wunderbar großen Sessel, ihrem „Thron“, und schaute sich im „weiten Rund“ um. So nannte sie die Welt, die hinter der Balkonbalustrade lag – denn das klang sehr geheimnisvoll. Sie hatte es einmal aufgeschnappt, als sie mit ihrer Familie am Hafen spazieren ging. Ein tolles Wort. Genauso wie das Eis, das sie von Papa bekommen hatte. Lakritzeis! Oh, war das lecker.

Sie saß auf ihrem Feen-Thron und schaute sich in ihrem Reich um. Überall waren Blumentöpfe mit Pflanzen und Kräutern. Am liebsten mochte sie die, in denen der Basilikum stand und die Minze. Da kann man die Blätter pflücken und essen. Klasse. Allerorten summte es. Bienen und Hummeln stürmten durch Kräuter und Blumen. Sie hatten es immer eilig, weil zuhause ihre Familien auf Pollen und Nektar warteten. Da drüben stand der Strandkorb. In dem konnte sie mit all ihren Freundinnen sitzen, so groß war der.
Aber jetzt war er vom wilden Ritter Krümel besetzt. Tatsächlich ist Krümel gar kein wilder Ritter, sondern eine Katze. Er hätte seinen Kopf geschüttelt, hätte er verstanden, wie Emilia ihn nannte. So streckte er sich nur, trippelte einmal im Kreis um sich selbst und legte sich seufzend wieder hin. Wer genau hinsah, konnte ein Lächeln in seinem Fellgesicht erkennen.

Auf den Häusern gegenüber waren viele Vögel ansässig. Einige hatten sogar schon Nester gebaut und prüften, ob darin genügend Platz für Eier wäre und diese sicher liegen würden. Schon doof, wenn man Eier kriegt, sie brütet, hegt und pflegt und plumps … sind sie dann rausgefallen. Zu blöd.

Überall piepten und schrien die Vögel. Die Luft roch süß und würzig. Sie hörte das Summen und Brummen der fleißigen Sammler. Krümel gähnte herzhaft in seinem Strandkorb. Und Emilia träumte sich kurz weg.

„Hallo Herzchen“, hörte sie plötzlich ihre Mutter. Emilia erschrak. Dann fühlte sie Mamas Hand beruhigend auf ihrer Schulter und entspannte sich wieder. „Hast du geträumt?“

„Ja“, sagte Emilia und lächelte. „Ich war bei Pippi Langstrumpf auf Takatukaland. Wir haben am Strand nach Schätzen gesucht. Aber genau … genau weiß ich das nicht mehr.“ Bedauern schwang in Emilias Stimme mit. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. Sie bedeutete ihrer Mutter, sich in den anderen großen Sessel neben ihr zu setzen. Gegenüber schnarchte Krümel leise. Emilia und ihre Mutter sahen sich an und kicherten. „Psst!“, machte Emilia. „Nicht wecken, er träumt jetzt von Herrn Nilsson. Du weißt doch, dem von Pippi.“

„Ich weiß“, nickte Mama. Einen Augenblick war Stille. Na ja, nicht wirklich, die Möwen flogen herum und kreischten.

„Warum sind die denn so aufgeregt? Schimpfen die etwa? Sind da Piraten auf der Suche nach dir und Pippi?“ Emilia sah, wie ihre Mutter schmunzelte.

„Quatsch! Die erzählen sich vom Tag am Meer, wie sie da rumgelaufen sind und die Menschen geärgert haben. Guck, die da, Millie erzählt gerade, wie ihr Freund Kritschkratsch einen Mann ablenkte und so tat, als wolle er ihm das Eis klauen. Und sie ist dann flitzeschnell rüber und hat den Hering aus seinem Picknickkorb stibitzt. Einfach so, zack zack.“ Die beiden lachten und die Möwen lachten auch.

„Du Mami“, Emilia wandte sich aufgeregt zu ihrer Mutter.

„Na? Was denn?“ Emilia deutete rüber zu den Häusern.

„Wenn ich die Möwen so höre, ist es, als ob die Häuser Felsen und Klippen sind.“ Die beiden schauten dem Treiben eine Weile zu.

„Ja, du hast recht, Emilia. Jetzt sehe ich das auch. Da sind steile Schluchten, in denen die Möwen ihre Nester bauen. Sie fliegen durch sie hindurch und schauen nach Futter.“

„Ja“, seufzte Emilia. „Hörst Du das?“

„Was denn?“, fragte Mama.

„Es ist so still, als wären wir dort.“ Laut schreiend flog eine Möwe am Balkon vorbei.

Emilias Mutter lachte: „Ja, unheimlich still.“ Autos fuhren über eine entfernten Straße. Es klang wie ein Rauschen.

„Das klingt wie Meeresrauschen, hmm?“, fragte ihre Mutter.

„Ja, wie Meeresrauschen.“ Emilia fühlte, wie ihre Mutter ihre Hand ergriff. Beide waren still, fühlten den sanften Druck ihrer Hände. Sie schauten den Möwen nach, wie sie zwischen den Felsen des „weiten Rund“ hin und her flogen und hörten das Meer dahinter sanft rauschen. Es war so schön.

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