Diese Geschichte schrieb mieth-me.de @spooren.schreibt Kinder- und Familienliteratur

Herz-Pfläumchen

„Mama, Mama, guck mal!“

Ich öffne die Augen, die gerade noch vom Sonnenlicht gewärmt wurden, und sehe meinen Jungen mit nackten Füßen über den Rasen flitzen – die Wangen vor Aufregung ganz rot, die Löckchen verstrubbelt und ein Strahlen in den Augen, wie es nur Kinder haben.

Bei mir angekommen, ziehe ich ihn auf meinen Schoß und drücke ihn an mich. „Ist dir auch nicht kalt, mein Schatz?“

Er schüttelt den Kopf, leckt mit der Zunge über die Oberlippe, seine Nase läuft. Instinktiv ziehe ich ein Taschentuch aus der Jackentasche, doch er stößt meine Hand weg. „Nein, nein, schau doch mal!“

Erst jetzt sehe ich, wie angestrengt er die Hände aufeinanderdrückt, eine kleine Kuhle dazwischen.

„Hast du was gefunden?“

„Ja, was ganz Tolles, Mama! Bist du bereit?“

Ich nicke lächelnd. „Zeig mal her! Das muss ja was ganz besonders Tolles sein.“

Er hält seine Hände nah an mein Gesicht und öffnet sie langsam. Ich erkenne eine Pflaume, die von unserem Baum gefallen sein muss.

„Siehst du das?“

„Ja, eine Pflaume. Aber die darfst du nicht essen, die ist bestimmt noch ganz bitter und hart und…“

„Nein, Mama, das ist nicht irgendeine Pflaume. Schau richtig hin!“, drängt er.

Ich sehe mir die Pflaume genauer an und erkenne, was er meint. „Oh ja, jetzt sehe ich es!“

Er grinst breit. „Das ist eine Herz-Pflaume. Oder es sind zwei Pfläumchen, die aneinandergewachsen sind. Wie Bruder und Schwester. Oder so wie Paprika, wenn innendrin noch eine Baby-Paprika versteckt ist. Oder, Mama?“

Ich streichle über sein Haar. „Ja, da hast du recht. Eine Herz-Geschwister-Pflaume.“

Er kichert und reibt mit dem Daumen über die glatte Oberfläche. „Ich hab noch nie so eine Pflaume gesehen. Gibt’s sowas öfter?“

Ich ziehe meinen Mund zur Seite und runzle die Stirn. „Hm… nein, ich glaube, ich habe so eine Pflaume auch noch nie gesehen.“

„Dann ist sie etwas Besonderes. Ein Schatz. Ein Herz-Geschwister-Pflaumen-Schatz.“

Ich lache. „Ganz genau!“

„Mama?“

„Ja, mein Schatz?“

„Da, du sagst auch immer Schatz zu mir.“

Ich küsse ihn sanft auf den Hinterkopf, atme seinen Wohlfühlduft ein. „Weil du für mich auch etwas Besonderes bist. Wie diese Pflaume. Ich könnte also ab jetzt auch Pfläumchen zu dir sagen.“

Er grinst und flüstert: „Herz-Pfläumchen.“ Dann kuschelt er sich in meinen Arm und legt den Kopf an meine Brust.

„Und was machen wir jetzt mit ihr?“, fragt er nach einer Weile.

„Nun, du kannst sie behalten und an einen Ort tun, den nur du kennst. Oder du legst sie wieder ins Gras für die Vögelchen. Oder du schaust, ob du noch mehr Herz-Pfläumchen findest.“

„Au ja“, ruft er und sprintet schon wieder davon.

Ich lege mich zurück, schließe die Augen und lächle der Sonne entgegen.

Kind müsste man sein. Dann würde die Welt noch voller Wunder stecken.

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