Diese Geschichte schrieb @maro_trinkt_tee Fantasy

Die Hütte

„Ja. Ja. Diese Hütte. Ja! Die nehmen wir! Zomm, bitte, sag ja. Das wird gut!“

Den „Entspannen Sie in den heimischen Wäldern“-Prospekt schwenkend stürmte Zupp das Wohnzimmer.

„Ja … ich weiß nicht, bist du wirklich sicher, dass du in einem Wandergebiet Urlaub machen willst, Zupp?“

„Wieso Wandergebiet?“ Zupp fingerte an seinem Auge, das immer wieder heraus ploppte.

Zomm guckte Zupp bei seinem Fingerspiel zu und verdrehte selbst seine Augen, die aber recht frisch waren und noch gut in seinen Augenhöhlen saßen.

„Dass du neue Augen brauchst, müsste dir spätestens jetzt klar werden – die Hütte steht im Wald. Was machen die meisten im Wald?“

„Äh, kacken.“ Zupp grinste, hustete und verlor dabei zwei Backenzähne.

„Zupp! Du zerlegst dich ja geradezu. Urlaub ist in deinem Zustand möglicherweise keine gute Idee.“

„Och, komm schon, wir waren so lange nicht mehr ausspannen.“

„Wir studieren noch, schon vergessen? Und die ganzen Ausflüge in die anderen Welten?“

„Die Ausflüge waren schon schmatzig, aber so anstrengend. Wunderst du dich, dass ich mich zerlege?“

„Hast du deine Hausarbeit schon fertig? Mein Prof hat mich angeraunzt, dass ich alles neu schreiben muss, weil das Papier voller Stock- und Schimmelflecken war. Dabei fand ich sie richtig gut gelungen, meine Forschung über das erste Stadium des Zombiewerdens.“

Zupp hörte nicht mehr richtig zu. Überhaupt war er neidisch auf Zomm und seinen besseren Fortschritt im Medizinstudium. Lieber schweifte er in die Vergangenheit ab.

Sie lagen damals auf demselben Friedhof und sogar in derselben Grabreihe, als sie zu Zombies wurden. Das verband. Die ergreifenden Begräbnisse waren schon abgeklungen, als die beiden andersartig aus ihren Gräbern stiegen. Die Belustigung über ihre halbverwesten Körper nutzten sie, um späte Besucher und Liebespärchen, die sich auf dem Friedhof in Ruhe wähnten, zu erschrecken. Ihr unterschiedlicher Humor bescherte ihnen die merkwürdigsten Situationen, als sie später, auf den Heimwegen in ihre WG in der alten Bibliothek, öfter falsch abbogen und sich in seltsamen Multiversen wiederfanden.

„Hast du was gesagt, Zomm?“ Zupp tauchte wieder aus den Erinnerungen auf.

„Was? Egal. Mein Kompostbad wartet. Gib mir mal den Flyer mit der Hütte.“

So ein schönes schleimiges Kompostbad, dachte Zomm als er sich in die grünlich-braun schimmernde Brühe legte. Oft konnten sie sich so ein Bad nicht leisten, obwohl es für die Feuchterhaltung der Pergamenthaut essentiell war. Umso heiliger war die Zeit in der Wanne. Glücklicherweise konnte das Bad in dem Unterstand neben ihrer Behausung mehrfach genutzt werden.

„Urlaub“, murmelte Zomm, „die Hütte schaut etwas trocken aus. Vielleicht im Spätherbst.“

„Zomm“, Zupp lugte über den hohen Rand der Wanne, „was meinst du? Ich hab die Bewertungen beäugt. Die sind so richtig schlecht, es zieht und regnet rein …“

„Vermutlich gibt es jede Menge Tausendfüssler und Weberknechte. Hach, so ein bisschen Gekitzel im Nacken klingt verlockend.“

„Der Schlüssel wird kontaktlos übergeben. Schade eigentlich“, grinste Zupp.

„Ach geh jetzt, du überredest mich noch.“ Zomm wedelte mit seinem knochigen Arm herum.

„Mach nicht so lang, ich will auch noch.“

„Jaja …“

Ob es einen Friedhof dort in der Nähe der Hütte gab? Zomm grübelte weiter und tauchte tiefer in seine Wanne. In der vergangenen Zeit sind sie an vielen Orten gewesen, oft zufällig, aber ein herkömmlicher, heimeliger Friedhof war nicht dabei. Seufz.

Eine ganze Weile später stieg Zomm erfrischt aus der Wanne und rief Zupp durch die offene Tür zu:

„Wenn du einen Moment wartest, ist das Bad wieder kühl genug. Und guck in deinen Kalender, wie wär’s mit November?“

Keine Antwort.

„Zupp?“

Zupp war verschwunden.

„Der hat einfach kein Sitzfleisch. Wie auch? Ist ja alles abgefallen.“ Zomm lachte gurgelnd und dachte über seinen Kumpel nach, der möglicherweise sein herausgeplopptes Auge suchte und dabei in ein Portal gestolpert sein könnte.

Zomm fläzte sich auf sein vermodertes Sofa, knabberte getrocknete Mehlwürmer und schaltete seine Lieblingsserie „Grey’s Anatomy“ ein, als ihn ein Glucksen aus der Wohligkeit aufschreckte.

„Zupp, lass das, du weißt, dass ich schreckhaft bin.“ „Zupp?“

„Gnaha.“

Zomm drehte sich schmatzend um. „Darauf falle ich …“ Weiter kam er nicht. Denn in der Tür stand ein … was war das? Und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich soool Ihnen saaagen, dass die Hütte supper ist.“ Er atmete aus. „Sie sollen kommen.“ In seiner Handfläche lag ein rostiger Schlüssel.