Die Trollhochzeit
Als der Jäger dem Hirsch nachgestellt hatte, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, dass er selbst in eine Falle lief. Plötzlich hatte sich der Boden unter ihm aufgetan, es war ihm schwarz vor Augen geworden, und nun saß er da in einer Felsnische in einer fremdartigen Höhle, mit dem Fuß an die Wand gekettet wie Schlachtvieh. Das Gewehr hatte man ihm abgenommen, doch sein Messer im Schuh war übersehen worden, und in seiner Jackentasche befand sich noch ein Proviantsäckchen mit Nüssen. Niemand schien auf ihn zu achten, doch wenn der Jäger um den Nischeneingang zu seiner Rechten spähte, konnte er die Trolle, die ihn gefangen hatten, beobachten, gewaltige, hässliche Wesen mit grauer, steinartiger Haut, groben Gliedmaßen und dummen, bösartigen Gesichtern. Sie grölten misstönende Lieder, warfen mit allerlei Blumen und Laub um sich, während sie ungelenk umhertanzten. Eines der Wesen hatte sich einen Schleier aus Algen auf den Kopf gelegt, während es ein anderes mit einer Krone aus Gras liebkoste – eine Hochzeit. Gerade brachten sie einen großen Kochtopf vor das Brautpaar und trugen Holz für ein Feuer zusammen – der Jäger würde als Festmahl enden. Die Angst des Mannes wuchs mit jedem Scheit, und er begann an den Ketten zu zerren, die jedoch unerbittlich festblieben. Beinahe hätte er aufgeschrien, als, durch den Lärm angelockt, auf einmal ein Trollkind vor ihm stand und ihn neugierig anschaute. Es war wohl nicht viel größer als der Mann selbst, wenn auch breiter, und es trug einen Hut aus Korb und einen Mantel aus Moos. Und plötzlich wusste der Jäger, wie er entkommen könnte. Er hielt inne und streckte dem Trollkind die Nüsse entgegen. „Bitte“, flüsterte er, „brich diese Ketten, dann bekommst du die hier.“
Das Kind trat vorsichtig näher, schnüffelte an den Nüssen und brach mit einem Ruck die Fesseln auseinander. Noch bevor es nach der Belohnung greifen konnte, hatte der ihm der Jäger schon sein Messer in den Hals gerammt, und es ging mit einem überraschten Röcheln zu Boden. Es hatte noch nicht aufgehört zu atmen, da hatte ihm der Jäger schon den Bauch aufgeschnitten. Den letzten verzweifelten Blick ignorierend, stach er seinem Opfer die Augen aus und öffnete dann den leblosen Körper. Trolle sind innen hohl, und konnte der Jäger in das Innere des Kindes hineinsteigen – ein ausgezeichnetes Kostüm, um an der Hochzeitsmeute vorbeizukommen. Den blutigen Schnitt verdeckte er mit dem Mantel. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, damit man seine menschlichen Augen nicht sehen konnte, wagte er sich in die Menge der Feiernden und schob sich an ihnen vorbei in Richtung Höhleneingang. Er wäre wohl entkommen, wenn ihn nicht plötzlich jemand gepackt hätte. „Klein mein, nicht da weg!“, rief die Trollmutter – und riss dabei den Umhang vom Flüchtenden.
„Blut! Blut!“ Schrie sie erschrocken auf.
„Blut!“ stimmten auch die umstehenden Trolle entsetzt mit ein. „Blut!“ Und sogleich: „Da hinten! Blut! Klein tot! Haut weg!“
„Mann weg!“
„Mann da! Fasst ihn!“
Der Jäger lief los, wie er es noch nie im Leben getan hatte, und die gesamte Trollhorde folgte ihm dicht auf den Fersen. Er stolperte aus der Höhle hinaus in den Wald und rannte. Die Nacht schien auf seiner Seite zu sein, doch Trolle sehen gut im Dunkeln, sodass ihm kein Vorteil blieb. Er rannte ins Gebüsch, kroch unter Äste, presste sich gegen Bäume, doch er konnte die Trolle nicht abschütteln.
„Blut! Fasst ihn! Blut!“, heulten sie durcheinander. Erbittert jagten sie ihn, teilten sich auf, und bald wimmelte der Wald nur so von ihnen. Sie trieben ihn vor sich her, immer weiter, einen Berg hinauf, um ihn zu umzingeln.
Erschöpft und hoffnungslos wollte sich der Jäger schon stellen, als ihm auffiel, dass sich Nebel um ihn sammelte. Das hieß, dass ihn seine Verfolger bald aus den Augen verlieren würden. Und dass es langsam Morgen wurde. Also nahm er seine letzten Kräfte zusammen und begann zu klettern. Irgendwie gelangte er an die Bergspitze. Vor ihm breitete sich der neblige Wald aus, und die Morgensonne brach hinter dem Gebirge am Horizont hervor. Erst da wurde dem Jäger grausam bewusst, dass er den Nebel nicht hätte verlassen dürfen. Das Sonnenlicht traf auf die Haut des Trollkindes, und er spürte, wie sie langsam härter um ihn herum wurde. Bald war sie zu Stein erstarrt.