Diese Geschichte schrieb taraundtristan.de @nancyomreg Drama

Als die Vögel dich mitnahmen

Die Vögel kreischten über seinem Kopf. Nazar blickte nach oben und beobachtete die Zugvögel, die sich versammelten, um langsam Richtung Süden aufzubrechen. Er erinnerte sich noch an die ersten Strahlen der jungen Märzsonne, die ihm die Wange wärmte, während er die Vögel damals ankommen sah. Normalerweise brachten sie das Versprechen mit, dass bald Sommer werde, den er so liebte. Doch dieser Sommer würde nicht so verlaufen wie die bisherigen, das wusste er. Kein Planschen im Freibad, kein Eisessen in seiner Lieblingseisdiele um die Ecke und keine Grillfete bei seinem besten Freund Daniil, die jedes Jahr zu seinem Kindergeburtstag stattfand. Dieser Sommer würde anders werden. Nazar fühlte noch immer, wie die Träne über seine aufgewärmte Wange rann. Sie stammte von seinem Vater, der ihn still weinend fest an sich drückte. Seine Mutter hatte seine kleine Schwester auf dem Arm und zitterte sie in den Schlaf. Er wusste nicht mehr, wie lange die Verabschiedung gedauert hatte, doch wie verwirrend und schmerzhaft sie gewesen war, daran erinnerte er sich. Seine Großeltern hatten sie nur telefonisch verabschieden können. Sie wohnten nicht hier und wollten ihr Dorf nicht verlassen. Seinen Onkel brauchte er nicht mehr Auf Wiedersehen sagen, das hatte der Panzer bereits übernommen. Dafür stand seine Tante mit ihrem kleinen Sohn bei ihnen. Die beiden würden mit ihm, seiner Mutter und seiner kleinen Schwester kommen. Doch sein Vater nicht. Er musste hierbleiben. Wieder kreischten die Vögel und durchbrachen damit das entfernte Donnerhallen, welches seit kurzer Zeit ständig den Tag kontrollierte. Nazar blickte erneut nach oben. Er spürte noch, wie sich die Hand seines Vaters auf seine Schulter legte. „Wenn die Vögel sich wieder auf ihre Reise machen, dann sehen wir uns wieder“, hörte er ihn noch sagen. Nazar konnte nichts antworten. Er verstand noch nicht, warum er so lange wegbleiben musste und warum der Sommer dieses Jahr so anders verlief. Er war traurig und ängstlich. Sein Vater hing ihm seinen kleinen Rucksack auf den Rücken. Er war schwerer als sonst, wenn er zum Kindergarten ging. Seine Lieblingsautos machten ihn so schwer. Doch sie waren das einzige Spielzeug, dass er mitnehmen durfte. Seinen Kuschelhasen Xaci hielt er fest in seinem Arm. An dem anderen zog ihn seine Mutter hinfort, weg in einen unbekannten Sommer in einem fremden Land.

Nun kreischten die Vögel wieder über seinem Kopf. Sie sammelten sich, um gen Süden zu ziehen. Auch Nazar war zurückgezogen mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester, die inzwischen schon so gut krabbeln konnte. Für sie war seine Heimat nun fremd. Nazar schaute hinauf zum Himmel. Die Regenrinne der Trauerhalle versperrte ihm die Sicht auf die Vögel. Langsam ging er zwei Schritte vor, um die kreischenden Tiere besser sehen zu können. Aber dies war in Ordnung, denn er war sowieso gleich dran. Fest hielt er seinen Xaci an sich gedrückt, während er das Kreisen der Vögel beobachtete. Sie flogen wie damals im März, als wäre nichts geschehen. Er fragte sich, ob die gleichen Vögel dabei waren, die er hatte ankommen sehen. Oder ob von ihnen nun auch so viele fehlten. Dann wurde sein Name gerufen. Nazar fühlte, wie die Rose seinen feuchten und steifen Händen beinahe entglitt. Er wandte den Blick von den Vögeln ab. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Langsam bückte er sich und legte die Rose auf das Grab, genau vor den Grabstein, auf dem der Name seines Vaters stand. „Du hast dein Versprechen nicht gehalten“, murmelte er leise und eine Träne von ihm benetzte die Rose, die von den letzten Sommersonnenstrahlen gewärmt wurde.

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