Im Fluss
Grau. Hell, dunkel. Quarzgrau, steingrau, silbergrau, kieselgrau.
Kiesel im Fluss, ungestört, beständig, bleibend. Rund gewaschen vom Wasser, das stets und ständig, ohne Unterlass über sie hinwegstreicht.
Glattgeschmirgelt, einer wie der andere, alle Farbe herausgewaschen, mit dem Untergrund eins geworden.
Keine Ecken und Kanten. Angepasst, geformt durch die Reibung der Zeit. Alle Unförmigkeit, alle Spitzen weg, keine Kratzer und keine Falten.
So sieht ein Kiesel aus wie der andere. Einzig, vielleicht durch feinste Nuancen, graduelle, kaum sichtbare Äußerlichkeiten oder durch Merkmale wie Größe oder Material zu unterscheiden.
Und wenn in diesem Gleichmaß, wenn unter all den Uniformen und Unifarben plötzlich etwas anders ist? Wenn da plötzlich das Grau, das Einerlei, die Gleichförmigkeit, wenn das plötzlich unterbrochen, aufgebrochen wird?
Weil da auf einmal etwas aufblitzt, funkelt, glitzert, den Blick zwanghaft auf sich zieht.
Und wenn dann davon mehr da ist, zwischen all dem Grau, dem Glatten und Unauffälligen. Da taucht es auf, mehr und mehr, erst klein, erst wenig, dann noch eins und noch eins.
Und dann entdeckt das einer. Der erkennt, was das ist da zwischen den Kieseln, den Grauen, den Wertlosen.
Der sieht sich dann um, ob es noch jemand bemerkt hat außer ihm. Misstrauisch, vorsichtig, wachsam.
Es soll niemand außer ihm davon wissen. Denn er hat verstanden, was das da ist, das Funkelnde, Auffällige. Was das da wert ist.
Doch er wird nicht der Einzige bleiben, andere werden davon erfahren. Sie werden kommen, jeder will es sehen, will es haben.
Es wird viel Lärm um das Funkelnde geben, es wird berühmt, überall wird darüber berichtet. Es ist etwas Besonderes und das Besondere lockt, es lockt die Gewöhnlichen, die Unauffälligen, die Gleichförmigen.
Und es kommen viele und noch mehr. Und jeder missgönnt dem anderen das, was der findet, was der an sich nimmt, zu seinem Eigentum erklärt.
Aber weil der Eine dem Anderen das Funkelnde nicht gönnt, weil der eine davon mehr, immer mehr haben will, entbrennt Streit. Zank und Zwist. Feindseligkeit, Misstrauen, Kampf, Gewalt. Unglück.
Denn das Funkelnde bringt kein Glück. Jeder wird am Ende die Narben dieser Kämpfe zurückbehalten. Und das wird auch schon fast alles sein, was ihm bleiben wird am Ende.
Am Ende, wenn mehr und mehr gekommen sind, schließlich mehr als es Funkelndes gibt.
Da geht der Erste wieder, froh, zu leben, zu überleben, und kein bisschen reicher als vorher.
Dann geht der Zweite, der Dritte, bis auch der Letzte aufgibt, weil es nichts mehr gibt, das es zu finden lohnt.
Und danach?
Vieles ist zerstört, beschmutzt, dahin. Vieles ist anders als vorher.
Bis auf die
Kiesel im Fluss, wieder ungestört, beständig, bleibend. Rund gewaschen vom Wasser, das stets und ständig, ohne Unterlass über sie hinwegstreicht.
Grau. Hell, dunkel. Basaltgrau, granitgrau, silbergrau, kieselgrau.