Diese Geschichte schrieb @sabine50katharina Drama

17.

Raus aus der Stadt. An die See. Wind, Luft, der salzige Geruch des Meeres. Möwengeschrei und Sand zwischen den Zehen.

Können ein paar Tage an der See ein Leben verändern?

Und was ist, wenn man wieder zurück in der Stadt ist? Fängt dann alles wieder vor vorne an?

Wie in den letzten Jahren sitze ich am ersten Abend in der Strandbar. Die Hälfte des Monats ist bereits vorüber. Auf meinem Kalender steht die 17.

Doch dieses Mal ist alles anders. Da hilft auch kein Ritual. Kein erster Gang ans Meer. Kein angestammter Sitzplatz in der Strandbar. Kein Grauburgunder.

Habe es unterschätzt und dachte, mit den Jahren wird es besser. Leichter. Normaler. Routinierter.

Doch nichts davon ist der Fall. Heute ist der 17.

Die Bilder sind so präsent, als wäre es gestern gewesen. Das Krankenhaus, die überforderten Pflegekräfte, die Ärzte, die keine Worte fanden. Die junge Chirurgin, die aus Eitelkeit die Patientenverfügung nicht beachtete. Die darauffolgenden qualvollen Tage. Tage, an denen ich vor und nach der Büroarbeit am Krankenbett saß. Bis er, der immer Starke, seiner Kleinen mit schwacher Stimme sagen musste: „Ich kann nicht mehr!“ Und ich mich, wie aus einem anderem Universum, sagen hörte. „Du musst nicht stark sein. Du kannst loslassen. Ich bin da.“

Wie oft habe ich mir darüber Gedanken gemacht, welch emotionaler Kraftaufwand es für ihn wohl gewesen sein musste, dieses Satz zu sagen. Er, der Starke, der unendliche Schmerzen aushalten konnte und immer einen Weg fand, sei er noch so schwierig und schmerzhaft. Er musste sich nun eingestehen, dass es keinen Weg mehr gab und Schwäche zulassen.

Das Leben wich immer mehr aus seinem Körper. Am Abend zuvor spürte ich es, wurde unruhig und bin am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, bereits sehr früh ins Krankenhaus gefahren. Ich öffnete das Fenster in seinem Zimmer. Ein wunderschöner Regenbogen erstrahlte am Himmel.

So laß uns Abschied nehmen wie zwei Sterne

durch jenes Übermaß von Nacht getrennt,

das eine Nähe ist, die sich an Ferne

erprobt und an dem Fernsten sich erkennt.

(Rainer Maria Rilke)

Am Mittag rief ich meine Familie an.

Ein Teil von mir ist an diesem 17. mit seiner Seele (mit ihm) aus dem Fenster geflogen. Und manchmal habe ich die Hoffnung, dass etwas davon wieder zurückkehrt. Aber nur manchmal.

Irgendwo habe ich den Satz gelesen: Je älter man wird, desto näher rückt die Kindheit. Für mich hat dieser Satz etwas Tröstliches, ohne dass ich es erklären könnte. Dann denke ich an Tage, an denen er die Beine über die Bettkante legte und sie in der Luft baumeln ließ und uns dabei wie ein kleiner Junge verschmitzt anlächelte, als hätte er einen Bubenstreich zu verbergen.

Gefühlen kann man nicht entkommen. Man kann nicht fliehen, ob ans Meer oder in die Berge. Sie sind immer bei dir. Mal liegen sie dir schwer auf der Schulter. Mal tanzen sie wie Federn um deinen Kopf und wärmen dein Herz.

Und dazwischen ist das Leben.

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