Tag Vier
Düster. Alles um mich herum war düster, als wäre ein Tornado durchs Land gezogen, hätte alles mit sich gerissen. Häuser, Bäume und Büsche, einst liebliche Pflanzen. Meinen Magen schien er ebenfalls herausgerissen zu haben. Mir war übel. Es roch nach modrigem alten Holz, das mich wie ein Zwinger umgab. Keine Möglichkeit zu entkommen, nicht einmal ein Fenster. Die Tür war verriegelt. Ich hörte ein Winseln außerhalb der Mauern. Ob endlich jemand käme, mich aus dieser misslichen Lage zu befreien? Oder war es der Peiniger, dem ich einst vertraute und der mich nur weiter quälen und dahinsiechen sehen wollte? Ich hatte keine Kraft mehr für Schreie, mein Hals war trocken und jeder Atemzug schmerzte.
Den Raum ging ich schon so oft ab, drei mal fünf Meter. Ich war gefangen in einem winzigen Loch. Die Kälte, die sich im alten Holz zu sammeln schien, drang durch meine Kleidung, meine Knochen. Mein Körper war genauso klamm wie die Umgebung. Ich wünschte, ich könnte einen heißen Tee trinken oder hätte zumindest eine Decke, die mich wärmte. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, doch versuchte ich nicht weiter, mir das Warum zu erklären. Dafür gab es keine Antwort. Es schien, als sei es so vorherbestimmt. Omas Worte kamen mir in den Sinn: Alles im Leben kommt so, wie es kommen muss. Womöglich hatte sie recht. Nach unzähligen Tagen in dieser Hölle, mit einem Eimer in der Ecke, auf dem ich meine Notdurft verrichtete und einem Wasserhahn, der in kleinem Rinnsal etwas Trinkwasser bereit hielt, wartete ich darauf, dass die Bestimmung eintraf. Das, was geschehen sollte, würde geschehen. Ich konnte nicht mehr länger hoffen, wollte nur Erlösung. In der Schlafecke kauerte ich mich auf dem Boden zusammen und schloss die Augen. Der kalte harte Untergrund schmerzte nicht mehr. Die Seele weinte. Hatte ich schon aufgegeben? Zunehmend fiel es mir schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Anhand des kleinen Streifens, der unterhalb der Tür zu sehen war, konnte ich erahnen, ob Tag oder Nacht war. Wenn ich richtig gezählt hatte, war heute Tag vier. Das Gebell kam näher. Mein Gehör war durch die fehlenden anderen Sinne, die mir durch Dunkelheit und Kälte genommen waren, verstärkt worden. Ich nahm das Jaulen zweier Hunde wahr. Fast hörten sie sich an wie Jack und June, die ich in meiner Kindheit so liebte, unsere beiden Mischlinge. Aber das konnte nicht sein. Verlor ich endgültig den Verstand? Angespannt, die Arme um die Knie geschlungen, meine Wange auf dem kalten Steinboden, das zur Decke zeigende Ohr gespitzt, was kommen mag. Waren das Schritte? Ich hörte ein Rascheln, durchzogen von Schlurfgeräuschen, als würde jemand mit schweren Stiefeln über den Boden schleifen ohne die Füße zu heben. Eine Gänsehaut kroch langsam vom Kopf über die Schultern hinweg, den Rücken hinunter. Ich hatte keine Angst. Die hatte ich in den letzten Tagen herausgeschrien. Ich wollte erlöst werden, auf welche Art auch immer. Das Letzte, was ich hörte, war ein Schlüssel, der im Türschloss gedreht wurde, dann sank ich in einen dankbaren Schlaf.
Heute sitze ich an der Ausarbeitung meiner Masterarbeit. Ich wollte wissen, wie lange ein Mensch unter unwürdigen Bedingungen bei klarem Verstand bleibt. Wie lange konnte er ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Licht und Essen, ohne Wärme und die Aussicht auf Rettung überleben.
Anfangs war mir klar, dass ich aus der alten Ruine rauskommen würde, so war es abgesprochen. Doch mit der Zeit verschwammen Realität und Fiktion. Wahnvorstellungen nahmen den Platz der einst rationalen Gedanken ein. Nie wieder wollte ich so etwas erleben.
Nach dem Experiment dauerte es eine Weile, bis ich wieder ganz die Alte war, aber es war gleichzeitig ein Neubeginn. Die Ruine war ein altes verlassenes Haus, das ich für wenig Geld erstanden hatte. Wenn ich meine Abschlussarbeit zu Ende geschrieben und die Geschehnisse zu Papier gebracht hatte, würde ich hinausfahren und mit der Renovierung beginnen. Ich freute mich auf mein neues Zuhause.